2. KoMet-Tag: Wissenschaftler:innen diskutieren online über Zukunftsvorstellungen für Metropolen
Wie sehen erstrebenswerte Zukünfte für Metropolregionen aus? Was ist aus früheren Zukunftsvorstellungen geworden? Und was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff „Narrativ“? Mit Zukunftsvorstellungen für metropolitane Räume befasste sich unter anderem der Chefkurator für Architektur und Design des New Yorker Museums of Modern Art, Prof. Dr. Martino Stierli, im Rahmen der Fachkonferenz „Zukunftsnarrative für Metropolregionen“ am 14. Dezember 2020. Die Veranstaltung war bereits die fünfte gemeinsame Tagung des Kompetenzfelds Metropolenforschung mit der Emschergenossenschaft und wurde von den KoMet-Wissenschaftler:innen Prof. Dr. Jens Martin Gurr, Prof. Dr. Cornelia Jöchner, Prof. Dr. Rolf Parr und Prof. Dr. Wolfgang Sonne organisiert.
Nachdem sich der KoMet-Tag 2019 mit der Zukunft der Mobilität beschäftigte, widmete sich der diesjährige KoMet-Tag früheren sowie gegenwärtigen Zukunftsvorstellungen. Bei der vom Kompetenzfeld Metropolenforschung (KoMet) initiierten und von der Emschergenossenschaft unterstützten Fachkonferenz fokussierten in drei verschiedenen Themenblöcken die Referierenden frühere und aktuelle Vorstellungen einer künftigen Gestaltung des Zusammenlebens in Metropolen. Ca. 180 Teilnehmende nutzten die Möglichkeiten der virtuellen Beteiligung.
KoMet-Tag als Plattform für transatlantische Fachdebatte – Lebendige Gespräche zwischen der Metropole Ruhr und New York City
Ruhrgebiet, Europa, Nordamerika: Durch die internationale Ausrichtung und das digitale Format war es sowohl thematisch als auch personell möglich eine interessante, interdisziplinäre Diskussion über Kontinente hinweg zu führen. Prof. Dr. Martino Stierli, der Chefkurator für Architektur und Design am Museum of Modern Art (MoMA) in New York City, konnte, neben zahlreichen renommierten Wissenschaftler:innen aus dem breiten Spektrum des Kompetenzfelds Metropolenforschung, für die Veranstaltung gewonnen werden.
Politikwissenschaftler Christoph Bieber: „Das Leben in der Smart City muss auch ein gutes Leben sein.“
Mit seinem Keynote-Vortrag „Die Politik der Smart City. Anmerkungen zur Zukunft der Stadtentwicklung“ griff der Inhaber der Welker-Stiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr. Christoph Bieber, gleich zu Beginn der Veranstaltung eines der strittigsten Themen der aktuellen Diskussionen zur Stadt der Zukunft auf. Smart City-Konzepte bedeuten für ihn einen umfassenden und invasiven gesellschaftlichen Wandel. Ob und wenn ja, wie sich die Bürger:innen dagegen zur Wehr setzen, sei eine der großen politischen Fragen im Diskurs.
Methodik der Narrativitätsforschung: Storytelling, Kollektivsymbolanalyse und Skripte
Die Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Leiterin des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen, Prof. Dr. Julika Griem, widmete sich im ersten Themenblock „Methodik“ der „Konjunktur“ des Begriffs `Narrativ`. „Narrative sind sinnstiftende Erzählungen, deren Wirkmacht allerdings nicht inflationär beschworen, sondern analytisch betrachtet werden sollte“, so Griem. Daran anknüpfend referierte der Literatur- und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Rolf Parr über die Verwendung von Kollektivsymbolen wie „Mitte“, „Motor“ und „Herz“ in Zukunftsnarrativen für Metropolen. Eine thematische Brücke nach Nordamerika schlug im Anschluss das UA-Ruhr-weite „City-Scripts“-Kolleg um Prof. Dr. Barbara Buchenau. Das von der Volkswagen Stiftung geförderte Forschungskolleg setzt sich mit dem transatlantischen Industrieerbe auseinander und thematisiert die Wahrnehmung dieses Erbes als Mangel oder Verlust.
Zurück in die Zukunft. Betrachtungen zwischen dem mittelalterlichen Ruhrgebiet, der frühen Neuzeit und der unvollendeten Moderne
Im Themenblock „Historie“ machten der Architekturhistoriker Prof. Dr. Wolfgang Sonne und die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Barbara Welzel von der TU Dortmund den Vorschlag einer integrierten Geschichtsschreibung, die sich nicht nur auf das Industriezeitalter beschränkt, und stellten das auf das Mittelalter zurückgehende kulturelle Erbe der Region als Ressource für Zukunft(snarrative) vor. Das Zukunftsversprechen einer frühneuzeitlichen Residenz und die Fiktion eines Zentrums wurden am Beispiel der bemerkenswert vernetzten Stadt Bückeburg in der Renaissance durch Prof. Dr. Cornelia Jöchner und Johanna Staßen vom Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum erläutert.
Aus New York zugeschaltet referierte Prof. Dr. Martino Stierli über die Fotomontage der Avantgarde und deren Abwendung von historischen Stadtbildern. Er merkt an, dass die Montage nicht nur ein dominantes Prinzip der Moderne sei, sondern auch eine Möglichkeit, über das bewusste Bewegen durch den Raum nachzudenken. Für ihn bildet Montage eine Schlüsselstrategie zur Konstruktion für Bedeutung.
Der Blick nach vorn. Aushandlungen zwischen Ruhr und Emscher: Wir wollen nicht Detroit sein, aber dafür vieles andere.
Der dritte Block „Zukunft“ beschäftigte sich mit den gegenwärtigen Zukunftsvorstellungen für die Metropolen von heute. Die Amerikanistin Dr. Julia Sattler stellte Bezüge zwischen Detroit und Bochum her. Sie verwies auf den Slogan „This is not Detroit“, der im Kontext der Schließung des Bochumer Opelwerks 2014 populär wurde. Der Historiker Prof. Dr. Lucian Hölscher, zu dessen Forschungsgebieten die Geschichte der Zukunft gehört, gab einen Einblick in die „vielen Zukünfte des Ruhrgebiets“. Den roten Faden aufgreifend, stellt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft und des Lippeverbandes, seine Vision für die zukünftige Gestaltung der Region entlang der Emscher vor. In seinem Vortrag bekräftigte Uli Paetzel die Notwendigkeit eines gemeinsamen Narrativs für das Ruhrgebiet. Dieses sollte die vielfältigen kulturellen Facetten und den Wandel der Region aufgreifen, um ein hohes Identifikationspotenzial zu schaffen. Als Beispiel nannte er das Narrativ der grünsten Industrieregion der Welt und betonte: „Das Ruhrgebiet musste dem Wandel begegnen wie keine zweite Metropole in Deutschland. Wir müssen im Standortwettbewerb mit vielen starken Metropolen in Europa mithalten. Als eine Region mit mehreren Zentren haben wir dabei entscheidende Gelegenheiten zur Zusammenarbeit und zur Kompetenzbündelung verpasst.“
Die Metropole Ruhr als gemeinsamer Raum von morgen?
Im Rahmen der Abschlussdiskussion unterstrichen Prof. Dr. Barbara Buchenau, Prof. Dr. Uta Hohn (KoMet), Prof. Dr. Lucian Hölscher und Prof. Dr. Uli Paetzel die Notwendigkeit eines „eigenen“ zukunftsgerichteten Narrativs für die Metropole Ruhr und zeigten Inhalte für eine solche Erzählung auf.
„Wir brauchen einen ruhrgebietsweiten Diskurs über Zukunftsthemen wie nachhaltige Infrastruktur, gut ausgebauten Nahverkehr oder sichere Digitalisierung, an dem sich Bürgerinnen und Bürger beteiligen können – damit die Zukunftsthemen des Reviers endlich angegangen werden“, so Paetzel.